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ANJA CIUPKA
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Rita Kersting: Anja Ciupka. In: Anja Ciupka. Passionate Single. Hg. Kunstverein Arnsberg 2008.
 

Für „One House For Separated Parents And Their Children“ konziperte Anja Ciupka eine Wohnform, in der getrennte Eltern und ihre Kinder zusammen leben können. Es handelt sich um eine grafische Arbeit, die die Künstlerin erstmals 2003 als 3 m hohes Poster an der Wand ihrer Düsseldorfer Akademieklasse präsentierte - darauf die Grundrissmodelle für drei Stockwerke mit den Einteilungen für die Räume, die der Mutter (rot), dem Vater (blau) und den Kindern (gelb) zur Verfügung stehen.
„One House...“ ist eine nach innen gerichtete Struktur, eine modellhafte Versuchsanordnung, die völlig kontextlos präsentiert wird. Das quadratische Haus, dessen trennende interne Achse/Treppenhaus auf der Diagonale liegt, wird nicht durch Hierarchien, sondern durch Symmetrie gekennzeichnet. Die modellhafte Darstellung aktiviert in unserer Vorstellung nicht die Funktionen der unbezeichneten Zimmer, sondern ihre Beanspruchung durch die Frau, den Mann oder die Kinder. Die drei Primärfarben betonen die separaten Lebensräume - eine Getrenntheit, die gegenseitige Zugänge nur durch das Treppenhaus oder Kinderzimmer zulässt.
Anja Ciupka hat ein ideales Haus entworfen, ein Traumhaus für Realisten mit Kindern, ein Gebäude das strotzt vor Gerechtigkeit und Quadratmeterquote. Das Mischen von Farben würde in diesem Bild die Spielregeln verletzen; ebenso Fragen nach städtebaulicher Einbindung, Sonnenterasse oder Fassadengestaltung.
Dass Architektur das Verhalten steuert, und die Konstitution von Gender bestimmt, ist vielfach beschrieben und wird von uns fast täglich erlebt. Aber mehr noch als um einen feministisch motivierten, manifestartig-architektonischen Lebensraum geht es in Ciupkas Entwurf um das konkrete Zusammendenken von Gegensätzen, um ein dialektisches Prinzip, dass die Trennung ebenso fokussiert wie das gemeinsam Mögliche als souveränes, kompromissloses Nebeneinander.
Die symmetrische Aufteilung der Lebensbereiche von Frau und Mann in Ciupkas Entwurf erinnert an die von Mies van der Rohe spiegelbildlich konzipierten, getrennten Eltern-Schlafzimmer im Haus Lange in Krefeld. Diese Ende der 1920er Jahre entworfene moderne Einteilung (allerdings mit Verbindungstür) demonstriert eine überraschende Egalität, verlegt jedoch die familiäre Konvention nach draußen: Während der Mann über einen eigenen Balkon verfügt, teilt die Frau den ihren mit den Kindern, zu deren Zimmern (drei) sie über diesen Außenbereich direkten Zugang hat. Auch das Damenzimmer im Erdgeschoß kann in diesem Zusammenhang als Fußangel einer vermeintlich modernen hierarchiefreien Raumkomposition gelesen werden. Innerhalb der fließenden Mies’schen Architektur, bildet das nur kleine Damenzimmer ohne Ausgang nach draußen und mit nur einer Zugangs- und Ausgangsmöglichkeit eine Sackgasse.
Die Entwicklung der modernen Malerei und Architektur, die Ciupka in ihrem „One House…“ aufgreift und ihr deutliches Interesse an einem konkreten in die Realität umsetzbaren Modell für eine marginalisierte gesellschaftliche Gruppe (getrennte Eltern mit Kindern), erinnert an die experimentellen, und gleichzeitig systematischen Arbeiten, die der Künstler Dan Graham seit den 60er Jahren realisiert hat. In Zeitschriften oder Skulpturen verbindet er Fragen des privaten und gesellschaftlichen Miteinanders, das er vor allem anhand von Architektur untersucht. Einzelne Gruppen wie Kinder, Kleinfamilien oder Gefangene spielen dabei ebenso eine Rolle, wie Mechanismen der Kontrolle, Überwachungs- und Unterhaltungsmedien, Vergnügungsmuster oder Mann-Frau-Beziehungen.
Anders jedoch als Graham, dessen Interesse sich auf die Schnittstelle von privat und öffentlich richtet (in den Häuser- und Closed-Circuit-Arbeiten ebenso wie in seinen Pavillons), spielt der öffentliche Raum in Ciupkas „One House for Seperated Parents And Their Children“ überhaupt keine Rolle. Nicht die Membran, die innen und außen trennt, steht im Vordergrund, sondern die diagonale Mittelachse innerhalb des Hauses, die die Wohnbereiche der Personen voneinander scheidet. Das Außen in diesem Fall ist nicht die Gesellschaft, sondern der Lebensraum der anderen Familienmitglieder. Betrachtet man Grahams Untersuchungen von feudalen bis zu postmodernen architektonischen Strukturen, so stellt man auch bei Ciupka eine kritische Reflexion althergebrachter Lebensentwürfe fest, denen sie hier einen neuen entgegensetzt. Dabei geht sie von dem aus, was einmal als „Kernzelle der Gesellschaft“ bezeichnet wurde und manifestiert den Bruch, der in den meisten Fällen diese einheitliche Zelle zerstört, in architektonischer Form. Ihre neue Raumordnung hat utopische, administrative, politische Merkmale und überwindet Begriffe wie Zuneigung oder Zugewinngemeinschaft.
Betrachtet man das Werk von Anja Ciupka, fällt die außergewöhnliche Vielgestaltigkeit und der im Hinblick auf Themen und Medien große Facettenreichtum auf. Nichtsdestotrotz finden sich in „One House…“ Qualitäten, die das Werk der Künstlerin auch insgesamt kennzeichnen, nämlich das Interesse an Körperlichkeit ebenso wie eine Härte, die manchmal in Bedrohlichkeit umschlägt. Vor allem taucht die hier zentrale Trennlinie in anderer Form immer wieder auf, so z.B. in „Ballfangzaun“ (2004). Der spielerische Titel beschreibt eine höchst reduzierte, strenge Arbeit, mit der Ciupka ihren Akademieraum in zwei ungleiche Hälften trennt. Der kleinere, durch den stabilen, engmaschigen, durchsichtigen Zaun abgetrennte Teil ist leer und nicht betretbar. Die industriell hergestellte minimalistische Raumgrenze markiert eine Trennung der ehemaligen Raumeinheit und ist somit der Arbeit „One House…“ sehr verwandt. Die unmittelbare körperliche Erfahrung ist jedoch völlig gegensätzlich, es geht nicht um Information, sondern um eine konkrete Skulptur mit hohem Abstraktionsgrad. Denn trotz ihres Readymade-Charakters und dem damit verbundenen Realitätsbezug – das Zaun-Material erinnert an Einsatzmöglichkeiten an Grenzen, Flughäfen, Baustellen oder Spielplätzen – fehlt der Arbeit jede Spezifität. Ihre Erscheinung als Raumzeichnung, ihre additive Struktur, ihr aggressives Potential entwickelt sie als kompositorischer Eingriff in den Akademie-Raum mit seinen weißen Wänden, klassischen Fenster- und Türformen und nicht zuletzt mit dem zugemauerten Rundbogendurchgang, der durch die Abgrenzung eine fast auratische Rahmung erhält.
Der Subjekt-Objekt-Status des Betrachters, die Irritation von Raumsymmetrie, -hierarchie und privilegiertem Standort verbunden mit der Frage nach innen und außen spielen in dieser Arbeit eine zentrale Rolle. Ciupkas minimalistische Intervention ähnelt einer autoritären Setzung, es ist eine – auch in den installativen Details präzise – Raumarbeit, deren Härte und Schönheit ebenso faszinieren wie ihre psychologische Wirkung. Wie konsequent dialektisch die Künstlerin über die Wirkung und Entwicklung des Werks nachdenkt, zeigt ihr Entwurf für ihre Abschlussarbeit an der Akademie, für die sie plante, erneut den Zaun aufzustellen, dann aber mit einer neuen, in die Wand gebrochenen Tür, die zu dem kleinen jetzt unzugänglichen ‚Raum’ führt (nicht realisiert). Dass die Art der Trennung durch das Zugänglichmachen des als Leerraum/Käfig erfahrenen, kleineren Raumteils die Arbeit fundamental ändern würde, und zwar auf eine Weise, die den Blick stärker als den Körper beansprucht, und den Zaun als Skulptur fast unsichtbar macht, sobald auf der anderen Seite Leute ‚ins Bild’ geraten und Beobachtung, Selbstreflexion oder soziale Interaktion stattfinden, das zeigt Ciupkas konzeptuelle Qualität.
Die letzte Arbeit der Künstlerin in ‚ihrem’ Akademieraum ist ebenfalls eine minimalistische Intervention, die ohne Opulenz den ganzen Raum beansprucht. In der Mitte des Bodens breitet sich eine kleine Wasserlache aus, in regelmäßigen langen Abständen fällt ein Tropfen von der Decke. Auf dem Steinboden verteilt sich das Wasser unregelmäßig und verdunstet teilweise; ein Teil des zentralen Fensters steht offen.
„Ohne Titel“ ist durch Reduktion und Stille gekennzeichnet und nicht nur angesichts der visuellen Aufgeregtheiten anderer Abschlussarbeiten erfreut einen die scheinbare Unmittelbarkeit und Unvermitteltheit der Installation. Anja Ciupkas Eingriff in den Arbeits- und Ausstellungsraum der Akademie trägt eine potentielle Zerstörung, die man sofort spürt, auch wenn die spiegelnde Wasserpfütze als Spiegelbildträger ebenso konstruktive Eigenschaften aufweist. Auffällig – besonders im Gegensatz zum sauberen, von makelloser Industrieästhetik geprägten „Ballfangzaun“ – ist das Schmuddelige, Fehlerhafte und Entropische des Wasserflecks mit seinen unscharfen, matten Rändern – aber auch hier wird eine spannungsvolle Unentrinnbarkeit aufgezeigt, die entfernt an Einzelhaft oder Folter erinnert.  
Einige Elemente, die in den jüngeren Arbeiten Ciupkas eine Rolle spielen, tauchen bei „Ohne Titel“ erstmals deutlich auf: Der Einbruch einer fremden Sphäre, eine Logik, die nicht der des Ortes entspricht, die Verschiebung von Materialien und Prozessen an Orte, an denen sie nichts zu suchen haben, wodurch es zu fast surrealistischen Begegnungen kommt. Auch illusionistische Aspekte gewinnen in letzter Zeit größere Bedeutung. Hier ist es die Natur, die in die Akademie dringt, das Element Wasser, das im Erdgeschoß auf den Boden der Lehranstalt so überzeugend tropft, dass der Rektor bei der Besichtigung von Ciupkas Arbeit (bei Regen) den Hausmeister rief – eine anekdotische Begebenheit, die eine eher banale Lesbarkeit der Arbeit zeigt, vielleicht vergleichbar mit der Aufregung eines Schalterbeamten der WestLB nach der Ansicht von Ciupkas „Turn Over“, weil die Schafe offensichtlich die Sicherheitsschleuse der Bank überwunden hätten.
Manchmal scheint es als wären die starken Bilder von Anja Ciupkas Installationen und Videos nur ein Zwischenergebnis, ein Augenblick in einem Prozess, dessen soziale Dimension eine immer wichtigere Rolle spielt. Alle hier beschriebenen Arbeiten wurden in der Klasse der Akademie entwickelt und installiert, und neben den offensichtlichen räumlichen Bezügen, bilden auch die sozialen Kontexte ein Fundament. Sowohl in „One House..“ als auch in „Ballfangzaun“ spielt das Verhältnis von Ich zum anderen, von Individuum und Kollektiv eine zentrale Rolle. Die Reflexion über die eigene Existenz innerhalb der Studenten einer Akademieklasse findet in der Arbeit mit dem Titel „Anja Ciupka“ ein deutliches und zugleich rätselhaftes Bild. Als sich die Studenten der Klasse nach einer Einladung zu einer Gruppenausstellung in einer Luxemburger Galerie die Plätze aufteilten, bat Ciupka um den Raum auf der Vorderseite der Einladungskarte. Hier, wo normalerweise ein Bild zu sehen ist, ließ sie in schwarzen Kapitalen zwei Worte drucken: Anja Ciupka.
Die Erweiterung der Ausstellung auf die begleitenden Drucksachen hatte speziell in den 1960er Jahren Konjunktur, einer Zeit in der viele künstlerische Ansätze, die Anja Ciupka interessiert und weiterführt, entwickelt wurden, Neben den schon erwähnten einflussreichen Arbeiten Dan Grahams gab es Künstler, die den Ausstellungsraum als Material für ihre Arbeiten nahmen (Michael Asher), naturwissenschaftliche oder politische Versuchsanordnungen präsentierten (Hans Haacke) Leere ausstellten (Yves Klein), Pferde ausstellten (Jannis Kounnelis) oder weniger den Galerieraum, sondern die Einladungskarte zum Ort des Kunstwerks machten (Robert Barry).
Indem Ciupka ihren eigenen Namen auf der Einladung nicht nur als ‚Bild’ der Gruppenausstellung sondern auch als künstlerischen Beitrag für diese Ausstellung präsentiert, verweist sie auf die Bedeutung des Namens eines Künstlers, der wie ein Logo innerhalb des Kunstbetriebs auftauchen muss, um überlebensnotwendige Aufmerksamkeit zu erhalten. Als Schriftzeichen ist der Name eingängig, wie aber spricht man Ciupka aus? Das Textbild der Künstlerin an diesem Ort erscheint wie eine ‚selffullfilling prophecy’: die Einladung zu ihrer eigenen Einzelausstellung. Neben der Auseinandersetzung mit den Kollegen bzw. Konkurrenten aus der Klasse (alle Ausstellungsteilnehmer sind wie üblich auf der Rückseite der Einladung aufgelistet) sind es vor allen die Konventionen der Kunst und des Betriebs, die Ciupka hier auf scheinbar simple und materiell höchst reduzierte Weise untersucht. Auch in dieser Arbeit steckt eine Bedrohlichkeit, die durch die charmanten A-Endungen von Vor- und Nachname erst einmal unterschlagen wird. Die Kühnheit dieser Arbeit steckt in der Verkleidung als Ausstellungsankündigung: als solche ist sie ein leeres Versprechen, ein Schatten ohne Körper.
Rigorose Isolierung bildet ein zentrales Thema in Anja Ciupkas Arbeiten, das von den frühen Arbeiten in Auseinandersetzung mit dem Kontext Akademie an sich fortsetzt bis zu der jüngsten Installation „Passionate Single“. Der Fokus der Künstlerin auf Vereinzelung entwickelt sich aus einem großen Interesse an der konkreten gesellschaftlichen Entwicklung und dem Funktionieren des Sozialen auf persönlicher Ebene. Eine „Solid Order“, so der Titel einer Grundrisszeichnung, gibt es schon deshalb nicht mehr, weil Alternativen existieren. Welche Rolle das Individuum dabei spielt, inwiefern es Motor oder Opfer einer Wandlung der Lebensmodelle ist, darüber denkt man nach der Ansicht von Arbeiten Anja Ciupkas mit neuer Sensibilität nach.